Das Christus-Bewusstsein
Sonntag, 09. April 2023
Obwohl ich mit Jesus und seinen Geschichten groß geworden bin, fällt mir ein Blogkapitel über ihn nicht leicht. Da ist einerseits das Bild der Kirche, das von Jesus gezeichnet wurde: Jesus der Christus (= der Gesalbte), Sohn Gottes und Teil der Dreifaltigkeit, gestorben und auferstanden, wie wir es in diesen Tagen feiern, Wunderheiler und Prediger, Erlöser und Heiland der Welt; dann habe ich andererseits seit jungen Jahren, beginnend in meiner Ausbildung zur Religionslehrerin eine Ahnung entwickelt, dass dieser so beschriebene Jesus nicht voll erkannt wurde. Meinen ersten wirklichen Realitätsschock bekam ich als junge, reichlich naive Studentin in der Erkenntnis, dass die Erzählungen vom leeren Grab zu Ostern als nicht historisch gelten; vielmehr wollen sie auf ein das Sichtbare transzendierende Ereignis verweisen und es in Bildern veranschaulichen. In eine ähnliche Richtung gehen die exegetischen Auslegungen in Bezug auf Jesu Wunderheilungen. Der noch gültige Katholische Katechismus aus den 1990er Jahren lässt vermuten, dass die Kirche an einer Eins-zu-eins-Auslegung festgehalten hat und in weiten Teilen, zumindest in der offiziellen Lehre, immer noch festhält.
Sind nun jene Geschichten Lügenmärchen, mit denen die Gläubigen für dumm verkauft wurden und werden? Auf diese Idee kann man zumindest schnell kommen, wenn man die Ereignisse um die Person des Jesus von Nazareth missversteht. Heute – und das habe ich NICHT im Studium gelernt – bin ich mir sicher zu wissen, dass der wesentliche Knackpunkt nicht in den je unterschiedlichen exegetischen (die Bibel auslegenden) Ansätzen, sondern in der Vermischung verschiedener Ebenen, der irdischen, sichtbaren einerseits und der göttlichen, unsichtbaren andererseits liegt. Wenn die göttliche Wirklichkeit durch menschliche Sinne wahrgenommen und mit Menschenworten beschrieben wird, dann passiert das, was man vorschnell als Lügenmärchen abtun kann – zumindest dann, wenn man die Welt der fünf Sinne für die einzig existente hält oder aber in Unkenntnis der eben genannten beiden Ebenen ist.
Wir Menschen haben keine andere Möglichkeit, Gott wahrzunehmen als durch unsere (massiv beschränkte) Sicht. Diese anthropomorphe (=vermenschlichende), projizierende Betrachtungsweise lädt geradezu zu Missverständnissen ein – und davor waren auch die Jünger/-innen Jesu und später die neutestamentlichen Autoren nicht gefeit. Wenn man auf diese Weise missverstandene biblische Worte zur Grundlage einer Religion erklärt, bewegt man sich auf Glatteis. Am Beispiel des Todes Jesu am Karfreitag mag dies deutlich werden. Die klassische traditionelle Auslegung basiert auf der Idee des Opfertodes: Jesus ist für unsere Sünden gestorben, um uns zu erlösen. Dass Götter ob der Sündhaftigkeit der Menschen mit Opfergaben besänftigt werden müssen, ist ein uralter Gedanke. Die oben beschriebenen Ebenen vermischend, beschreibt er den in der dualen Welt handelnden (= immer wieder schuldig werdenden) Menschen als erlösungsbedürftig und weist Gott eben diese Erlösung – nach Bereitstellen einer Opfergabe – zu. Hier geschieht anthropomorphe Interpretation par excellence! Wie konnte ich bis dato glauben, dass sich Gott uns gegenüber wie ein Mensch einem anderen gegenüber verhält, der eine Wiedergutmachung für einen Fehltritt benötigt, um lieben zu können? Wie unendlich klein gedacht ist das? Auf was wird Gott hier in der theologischen Lehre reduziert?
Hieran schließt sich folgerichtig die Frage an, welche Mission Jesus hatte, wenn nicht die des Opfers am Kreuz zur Erlösung unserer Sünden. Und auch hier geht es wieder um die beiden Ebenen: Da ist zum einen dieser Mensch Jesus von Nazareth; hier sind wir auf der irdischen Ebene. Jesus der Christus – nun kommt die zweite hinzu -, denn Christus ist nicht der Nachname von Jesus, sondern eine „Qualität“, ein Bewusstseinsmerkmal. Was bedeutet es? Nun wird es in der Interpretation spannend, denn die Christus-Qualität ist eine, die sich gemäß dem Franziskaner Richard Rohr (Alles trägt den EINEN Namen. Die Wiederentdeckung des universalen Christus) in guter mystischer Tradition als universell (also nicht nur Jesus vorbehalten) zeigt und die EINHEIT von allem, was ist, MIT und IN GOTT meint. In meisterhafter Weise hat Jesus von Nazareth diese Einheit mit Gott erlebt und wahrgenommen und aus ihr heraus gelebt, gepredigt und Wunder gewirkt. Er, der irdische Jesus, hat sich derart mit der göttlichen Ebene verbunden, dass er zum Christus geworden ist. Und jetzt wird es noch spannender: Er möchte uns in seine Nachfolge rufen! Was heißt das? Indem er uns die Christus-Qualität vorlebt, ermuntert er uns, in dieses Christus-Bewusstsein einzutreten und es mit ihm zu teilen: die vollzogene Trennung durch die Vertreibung aus dem Paradies jetzt und hier aufzuheben und die Einheit aller Schöpfung zu erkennen. Sich mit der göttlichen Ebene verbinden (= in der Einheit sein) heißt für uns konkret, dass wir uns in die Liebe Gottes hineinfallen lassen, in seine Freude und in seinen Frieden, frei von Ängsten und Sorgen und frei von alledem, was unser auf Dualität und Spaltung angelegtes Ego für gewöhnlich mit sich bringt.
Das ist und war schon für Jesu Jünger/-innen starker Tobak, kaum zu verstehen. Und so waren es die Frauen, allen voran die berühmt berüchtigte Maria von Magdala, die es kapiert haben und Jesus als den Auferstandenen, den über die duale Welt Erhabenen, erkannt haben – während die männliche Gefolgschaft aus Angst und Unkenntnis floh.
Die Einheit in allem zu erkennen, im Grunde also die göttliche Ebene hinter der irdischen liegend (besser noch andersherum) wahrzunehmen, ist nicht leicht und ein für uns Erdenbewohner offensichtlich fremder, nach der Vertreibung aus dem Paradies der Einheit fremd gewordener Gedanke. Sich auf ihn einzulassen scheint mir jedoch die einzige Möglichkeit für unseren individuellen Frieden und den der Welt. In diesem Sinne wünsche ich euch von Herzen ein gesegnetes Osterfest!
- Gott ist allzeit bereit, wir aber sind sehr unbereit;
- Gott ist uns nahe, wir aber sind ihm fern;
- Gott ist drinnen, wir aber sind draußen;
- Gott ist (in uns) daheim, wir aber sind in der Fremde.                                           (Meister Eckhart)
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