Das Ego
Samstag, 05. November 2022
Immer wieder ertappe ich mich, dass ich in Gesprächen in einen emotionalen Widerstand gehe. Aktuell war das der Fall im VHS-Englischkurs, den ich besuche. In der Unterrichtslektion ging es um Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Und wie habe ich mich innerlich aufgeregt, wie gleichgültig doch so etliche Teilnehmer des Kurses darauf reagieren! Ich musste an mich halten, um nicht …
In der Reflexion der Englischstunde wurde mir klar, wie stark sich wieder einmal mein Ego aufgebläht hat. Ich bemühe mich doch nach ganzen Kräften und andere stellen sich auf, als hätten sie noch nie ernsthaft über das Thema nachgedacht. Wie soll denn so unser Planet gerettet werden?, dachte ich.
Die Handlungsweisen des Egos sind nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, im Gegenteil sind sie eher gut verborgen. Vereinfacht gesprochen ist das Ego zunächst das Bild, das ich mir von mir selbst mit all seinen Facetten gemacht habe: mein Name, mein Geschlecht, mein Beruf, meine Religion, meine Weltanschauung, meine Lebensweise, mein Ansehen, mein Besitz usw. Und dabei wurde ich als Kind völlig ohne Ego geboren. Meine Eltern gaben mir einen Namen; sie entschieden, was ihnen an mir gefiel und was nicht und festigten so das eine und das andere eben nicht. Sie gaben mir prägende Denkmuster mit auf den Weg, die ich teilweise bis heute mein Eigen nenne (Fällt euch die Parallele zum Enneagramm mit seinen Nummern auf?) Das soll ICH sein? Ist das nicht eher eine Identität, die mir auferlegt wurde und mit der ich mich zunehmend identifiziert habe, so dass ich heute fälschlicherweise denke, ich sei dieses ICH? Und fatal darüber hinaus ist es, dass das Ego für eine solche starke Identifikation mit den Eigenschaften, die ich mir „zugelegt“ habe, sorgt, dass ich mich stets angegriffen und verletzt fühle, wenn ein anderes Ego dagegen argumentiert.
Das Ego wütet aber nicht nur in jedem Einzelnen von uns; mit tragischem Ausmaß führen kollektive Egos zu Streit, Auseinandersetzungen und im schlimmsten Fall zu Kriegen unter Völkern und Religionsgemeinschaften: Wir mit unserer „richtigen“ Ansicht gegen jene, die natürlich „falsch“ liegen. Hier wie dort hilft nur Bewusstmachung des Egos und seiner durchaus tückischen Vorgehensweise, sonst ist man völlig in der Ego-Identifikation gefangen und macht sich immer und immer wieder zum Opfer einer jeden Situation.
Diese Bewusstmachung ist kein leichter Prozess. Die Dauer hängt von vielen Faktoren ab, auch davon, wie unbewusst oder bewusst du in deinem Alltagsverhalten bist und damit, wie hoch der Leidensdruck ist, den du erlebst. Je stärker dich dein Ego drangsaliert, desto mehr Leiden entsteht. Hast du wie ich den Wunsch, endlich in einen inneren Frieden zu gelangen, wirst du bereit sein, dein Ego aufmerksam und geduldig zu beobachten und immer wieder in seine Schranken zu verweisen.
Vielleicht fragst du dich jetzt, wer und was du denn dann bist, wenn nicht das, für was du dich gehalten hast. Hier kommt das wahre, das göttliche SELBST ins Spiel, das tief in uns verborgen liegt und erst zum Vorschein kommt, wenn das Ego entlarvt ist. Dieses SELBST ist voller Liebe und Freude und in vollständigem Frieden mit sich und allem, was ist. Es kann nie verletzt werden.
Viel über das Ego, das auch das kleine Selbst genannt wird, habe ich von Tolle gelernt. Seine Bücher „Jetzt! Die Kraft der Gegenwart“ und „Eine neue Erde“ waren und sind mir stets wunderbare Wegweiser. Wer eine Kurzform bevorzugt, findet auf Youtube einige Beiträge von Tolle zum Thema Ego, auch in deutscher Sprache.
Ich freue mich, wenn du mir berichtest, welche Fallen dir dein Ego gerne stellt.
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Kommentare...
… von Insomnia am 21.11.2022:
Wenn ich über das EGO, das ICH und Identität nachdenke, bleibe ich sofort an meinen Definitionen für diese Begriffe hängen. Für mich ist das EGO sehr negativ besetzt. Es ist Schall und Rauch, oft furchtbar laut, übertönt ohne Sensibilität und vernebelt das ICH, verräuchert die Umgebung, lässt kaum Luft zum Atmen. Manchmal wie ein Flächenbrand, ein echter Zerstörer. Nichts weniger als die Frucht, die uns aus dem Paradies vertreibt. Hoffart ist der Geruch, den das EGO verströmt. Und Angst hat es, weil es sich für das ICH hält und ohne Bewunderung von Außen Furcht hat, seine Identität zu verlieren. Eine verlockende Lüge.
Das ICH ist jenseits, ist Seele und die Identität ist diesseits, ist Eigenschaft.
Ohne eine Beziehung zu etwas, dass ich als größer anerkenne als mich selbst, wird mein EGO sich entgrenzen und aufblähen, das ICH unter sich erdrücken und meine Identität aushöhlen.
Leider kann dieses Größere auch ein anderes EGO sein, dann wird es häßlich.
Für mich war es GOTT sei Dank GOTT.
Antwort von Susanne:
Ich habe in meiner Beschreibung die in der spirituellen Literatur gängigen Begriffe für das Ego (das kleine Selbst) und das wahre, göttliche SELBST gewählt, kann aber gut nachvollziehen, in welcher Unterscheidung du EGO, ICH und Identität verstehst und anwendest. Bei der von mir gewählten Zweiteilung ist das EGO stets das unbewusste Ich (des Diesseits), das im spirituellen Sinne keine wirkliche Basis hat, wenn ihm das wahre SELBST fehlt. Es kann durchaus auch vermeintlich positiven Zwecken dienen (z.B. dem Umweltschutz wie in meinem Beispiel), verliert sich aber dann in der Regel in der Identifikation mit diesen und ist in diesem unbewussten Prozess abgekoppelt vom wahren SELBST. Natürlich kann das EGO zerstörerische Ausmaße annehmen, es kommt halt aber auch oft altruistisch verkleidet daher und macht uns bisweilen allen was vor.
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...von Pit am 05.11.2022:
Liebe Susanne,
eine kleine Ergänzung zu deinem aktuellen Blog: das Ego hat ja seinen evolutionären Sinn. Es hat die Menschheit zu Höchstleistungen getrieben und sie (neben anderem) so zur dominaten Art auf diesem Planeten gemacht. Nur heute, und da gebe ich dir vollkommen recht, ist unser Ego in vielen Fällen so überbordend, dass es uns persönlich eher schadet als uns hilft.
Und wenn man an die Klimakrise denkt, dann könnte sich die Funktion des Ego auch evolutionär gegen uns wenden. Unser egogetriebener Wunsch nach höher, schöner und vor allem nach mehr könnte uns am Ende den Garaus machen.