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Falling upward

Sonntag, 16. April 2023


Seit vielen Jahren ist Richard Rohr einer meiner Lieblingsautoren. Kennengelernt habe ich ihn über seine Version des Enneagramms, die er zusammen mit Andreas Ebert herausgegeben hat. So richtig ans Herz gewachsen ist er mir aber schließlich über sein Buch mit dem aussagekräftigen Titel Falling Upward (= nach oben fallen; deutscher Titel: Reifes Leben), das wie für mich gemacht scheint. Nicht das Wiederaufstehen nach einem „Fall“, einer Krise, sondern bereits die Krise selbst sei ein Geschenk Gottes an uns Menschen, da sie uns aus den gewohnten Bahnen herausschleudere und mit etwas Größerem als unserem geplanten, vorstrukturierten Leben konfrontiere. Um seine Idee zu verdeutlichen, benutzt Rohr das Bild des Containers. In der ersten Lebenshälfte befüllen wir, so Rohr, den ersten Container in der Regel mit dem, was von uns in Bezug auf ein erfolgreiches Leben erwartet wird: Wir wachsen heran, besuchen die Schule, Ausbildung oder auch ein Studium schließen sich an, die Karriere wird angegangen, eine Familie gegründet, ein Zuhause geschaffen – es ist das, was wir letztendlich unsere Identität (das Ego oder auch kleines Selbst) nennen und uns ein Fundament sein soll, uns sicher durch unser Leben zu bringen. In der zweiten Lebenshälfte geht es nicht länger um die Reise hinaus in die Welt, sondern in die gegenläufige Richtung, nämlich in unser Innerstes, „nach Hause“ (zu unserem wahren SELBST) – wenn wir diesen Schritt überhaupt tun. Denn, so Rohr, obwohl viele von uns ein hohes Alter erreichen, nisten wir uns in der Komfortzone des ersten Containers ein, ohne möglicherweise die Existenz eines zweiten auch nur zu erahnen. Wie wirklich segensreich - zugegebenermaßen in der Regel erst im Nachgang - kommt da ein Stolperstein daher, der uns lang hinstreckt und bisweilen solche Schmerzen verursacht, dass wir nicht umhinkommen, unser Leben auf mangelnden Tiefgang ( = auf die Inhalte des zweiten Containers) hin zu überprüfen. So wachsen wir spirituell – wie verrückt es sich auch anhört – bei weitem mehr, indem wir Fehler machen, als durch ein glatt verlaufendes Leben ohne Höhen und Tiefen. Davon wussten seit Menschengedenken die großen Poeten zu berichten, z.B. Homer, der Odysseus in die Irre fahren lässt, bevor er sich schlussendlich auf den alles entscheidenden „Heimweg“ macht. Auch Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn/vom barmherzigen Vater (Lk 15,11-32) hat genau das zum Thema: Der Nichtsnutz wird vom Vater mit offenen Armen und einem großen Fest bei seiner „Heimkehr“ begrüßt, während der treue Sohn, der sich nicht hinausgewagt hat, das Nachsehen hat.

Das erkannt und bei Richard Rohr in Worte gefasst gelesen zu haben, war und ist immer noch sehr befreiend für mich. Ich danke ihm ausdrücklich dafür – wie auch für die Weitung meines Bewusstseins in Bezug auf Gott und die Welt, zu der er maßgeblich beigetragen hat. Dass wir Krisen trotz solcher Erkenntnisse auf Grund der Schmerzen, die sie verursachen, gerne großräumig umschiffen wollen, ist menschlich und damit mehr als verständlich. Wenn sie jedoch in unser Leben einbrechen, dann liegt es an uns, die gewaltige Chance in ihnen wahrzunehmen und zu ergreifen. Der Weg nach Hause lohnt sich!

Wenn du an den Publikationen von Richard Rohr interessiert bist, dann schau mal beim Herder-Verlag rein, der viele seiner Werke in deutscher Sprache herausgegeben hat. Auf YouTube findest du etliche englischsprachige Vorträge und Predigten, einige auch übersetzt, z.B. von Andreas Ebert anlässlich eines Besuchs Rohrs in Deutschland und Österreich 2018 oder auf Theos Welt.


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