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Sich ent-wickeln

Sonntag, 23. Juli 2023


Es ist schon interessant zu erleben, wie die Dinge ineinandergreifen. Bei meinem letzten Büchereibesuch fiel mir ein aktuelles Werk von Gerald Hüther und Robert Burdy in die Hände: Wir informieren uns zu Tode. Ein Befreiungsversuch für verwickelte Gehirne. Die Autoren konstatieren, dass wir uns zwar mit unseren globalen digitalen Informationstechnologien hocheffiziente Werkzeuge geschaffen haben, Kommunikation aber dennoch kläglich und wortreich scheitert, da wir sie offensichtlich nicht so recht bedienen können. Ist uns da etwas entglitten? Hat sich die neue Technologie durch ihre Nutzung durch uns verselbstständigt?

Das Buch wird aus meiner Sicht erst auf den letzten Metern in der Beantwortung dieser Fragen so richtig spannend – und es passt zur Denkweise des Neurobiologen Hüther, den ich vor allem auf Grund seiner kreativen Denkansätze für Schule und Gesellschaft sehr schätze. Er sagt, befreien könne sich nur der, der auch wirklich frei sein wolle. Wer (z.B. auf sozialen Medien) dazugehören wolle, müsse in Kauf nehmen, ver-wickelt, also unfrei, zu bleiben.

Wollen wir nicht alle dazugehören und uns auf die Schulter klopfen, weil wir „richtig“ denken und zur „richtigen“ Gruppe gehören, sei es in der Zugehörigkeit zu einem Fußballclub, zu einer Clique, zu einer Chatgroup, zu einer politischen Partei, zu einer Religion etc.? Ich kenne das Gefühl durchaus; ich liebe positive Rückmeldungen auf meine Blogeinträge und bin verunsichert, wenn sie ausbleiben. „Frei“ zu sein ist offensichtlich gar nicht so leicht und hat im Übrigen wenig mit liberaler Gesinnung im Politischen zu tun. Wer „frei“ sein will, macht sich unabhängig von anderen, von ihren Erwartungen, Meinungen und ihrer Akzeptanz.

Frage dich nun selbst einmal: Bist du abhängig von den Erwartungen und der Anerkennung anderer? Hast du Angst, kritisiert, ausgegrenzt, ausgeschlossen zu werden? Hast du Angst, nicht genug Aufmerksamkeit von anderen zu bekommen, oder Angst, etwas zu verpassen? Angst, Fehler zu machen oder die Kontrolle zu verlieren? Übertünchst du die Probleme deines Lebens gerne mit den unterschiedlichsten Ablenkungsmanövern?

Wir leben in einem freien Land – und sperren uns doch unnötigerweise in unseren Hirnen in so viele Gefängnisse. Tragischerweise erkennen wir das in den meisten Fällen nicht einmal und bleiben, spirituell gesprochen, unbewusst. Wir sind auf allen Ebenen Gefangene unserer eigenen Vorstellungen und Überzeugungen, unserer Befürchtungen und Ängste, Gefangene unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit (Interessierte sollten unbedingt dazu Immanuel Kants Schrift lesen!), wie es die Autoren treffend formulieren.

Und doch gibt es einen Ausweg: Da unsere neuronalen Verschaltungsmuster NICHT durch genetische Programme festgelegt sind, sind sie zeitlebens umbaubar, erklärt der Neurobiologe Hüther. Wir sind und bleiben Suchende, ein Leben lang. Unsere Verirrungen und Ver-wicklungen können wir, wenn wir festen Willens sind, auflösen und uns ent-wickeln – im Bereich digitaler Kommunikation wie auf analoger Ebene, auf der großen Weltenbühne wie im kleinen privaten Bereich. Wir können uns entscheiden, mutig und frei und lebendig durch unser Leben zu gehen – und vielleicht ab und zu sogar mal übermütig zu tanzen. Ich bin mir sicher, dass Gott sich genau das für uns wünscht.


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