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Gott im Jetzt finden

Donnerstag, 17. November 2022


Manchmal denke ich, dass alle Weisheitsliteratur eigens für mich geschrieben scheint – so gut trifft alles auf mich zu und so exakt fühle ich mich beschrieben. Ja, immer wieder gehen mir die Pferde durch und ich verliere mich in meinem Ego und den damit einhergehenden konfusen Gedanken. Und immer wieder muss ich mich zur Raison rufen und meiner inneren Stimme Einhalt gebieten, um den zuvor erlebten Frieden nicht wieder zu gefährden. Es ist schon erstaunlich, was wir Menschen uns antun – haben wir doch sogar eine Kultur des Multitasking entwickelt, die uns eher schadet als nützt und uns damit immer weiter von der Heiligkeit eines jeden Moments entfernt.

Das Jetzt ist eindeutig der Augenblick der Gottesoffenbarung. Gott nennt Mose in der Erzählung vom brennenden Dornbusch (Ex 3,14) seinen Namen: JHWH („Ich-bin-der-Ich-bin“). „ICH BIN“ – so einfach, so klar. Der Gott des ewigen Moments, des ewigen Seins. Immer schon erfahrbar gewesen für denjenigen, der den Tand der Welt abzustreifen und in die tiefe Stille des Augenblicks einzutauchen vermochte. Meister darin war Jesus. Er gibt diesem ewigen Augenblick den Namen Himmelreich oder Reich Gottes, das er mit einem kostbaren, verborgenen Schatz vergleicht, für den alles zu geben es sich lohnt (Mt 13, 44-46).

Der Franziskanerpater Richard Rohr beschreibt seine Gebetspraxis sehr berührend: JHWH, korrekt ausgesprochen, gleicht dem Einatmen und Ausatmen – ohne Zungen- und Lippenbewegung. Das erste „Wort“, das aus dem Mund eines Neugeborenen kommt, ist JHWH - als Prozess des Einatmens; das letzte „Wort“, das ein jeder von uns einst „sagen“ wird, ist ebenfalls JHWH - als Prozess des Ausatmens: unser letzter Atemzug. Eine wunderbare, nicht zufällige Symbolik, mit der unser völliges Aufgehobensein in Gott gespürt werden kann.

Ebenfalls von Rohr ist folgendes Gebet, das ich euch für die tägliche Praxis der Stille empfehlen möchte:


Die Gegenwart Gottes zu erfahren, zu spüren, zu fühlen ist wunderschön und bringt mich in einen tiefen Frieden. Alles Reden, aller Versuch einer Lehre von Gott (Theologie) verblasst dagegen. Ich würde mir sehr wünschen, dass die großen christlichen Kirchen ihren Zugang zu dieser Erfahrungspraxis neu entdecken und lehren – so, wie es z.B. in Klöstern mit westlicher und östlicher Ausrichtung schon geraume Zeit wieder eine gute Tradition geworden ist. Für mich war und ist es immer wieder hilfreich und lohnenswert, in der Gemeinschaft und unter Anleitung im Kloster zu üben und Erfahrungen zu machen. Vielleicht findet ihr eine Gelegenheit in der nahenden Adventszeit.


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