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Schattenarbeit

Sonntag, 5. Februar 2023


Immer wieder realisiere ich in Anfragen und Diskussionen, dass Menschen die enorme Wirkung des Unbewussten – deshalb heißt es ja auch so – nicht kennen, mindestens aber massiv unterschätzen und sich ihrer nicht gewahr sind. Das allbekannte Eisbergmodell, welches sich inhaltlich auf Sigmund Freuds Bewusstseinstheorie stützt, geht davon aus, dass lediglich maximal 20% menschlichen Handelns im Alltag bewusst bestimmt werden; die verbleibenden gut 80% liegen verborgen unter der Wasseroberfläche. Freud erkannte, dass die im Unbewussten liegenden Ängste, verdrängten Konflikte, traumatischen Erlebnisse, Triebe und Instinkte Prägungen frühkindlicher Entwicklungsphasen sind, die uns bis heute unbewusst steuern und unser Denken und Handeln massiv beeinflussen – ohne dass wir uns dessen gewahr sind. Anlass genug, sich des Themas, das im Grunde alle anderen wie ein roter Faden durchzieht, noch einmal explizit im Rahmen von Schattenarbeit anzunehmen.

Der Schatten repräsentiert nach C.G. Jung die sog. „dunkle Seite“ unserer Persönlichkeit, all jene sozial unerwünschten und negativen Persönlichkeitszüge, die unserem „öffentlichen“ Gesicht, der „Persona“, entgegenstehen.

Wie ist es zu dieser Schattenbildung in einem jeden von uns gekommen? Der Schatten ist im Prinzip all das, was der Mensch bei seinem Versuch, sich seiner Umgebung anzupassen, verdrängt hat. Schon als Kleinkind erfahren wir, welche Verhaltensweisen bei unseren Bezugspersonen gut ankommen und deshalb verstärkt werden und welche keinen Zuspruch erfahren, sich in Folge nicht weiterentwickeln und letztendlich in die Unsichtbarkeit, den sog. Schatten rutschen. Diese Innere-Kind-Muster, wie sie heute genannt werden, sind bei uns allen je unterschiedlich: Sei ein braves Kind. Lerne fleißig. Vertraue niemandem. Du bist einfach zu dumm. Der liebe Gott sieht alles. Ein Junge weint nicht. Ein Mädchen tut so etwas nicht. ... So ist aus jedem Innere-Kind-Muster ein äußeres, sichtbares und ein verborgenes, im Schatten liegendes Verhalten hervorgegangen. Bleiben wir bei dem Beispiel „braves Kind“, das sicherlich auf viele von uns zutrifft: Ich werde geliebt, wenn ich brav bin. Das ist das erwünschte Verhalten, das Verstärkung erfährt. Bin ich unartig, werde ich getadelt – und das möchte ich nicht. Also vermeide ich das Verhalten, das mir die Zuneigung meiner Bezugspersonen vorenthält, und somit wird es zu meinem manchmal lebenslangen Schatten. Ich entwickle mich nach außen hin zu einem Menschen, der sich vorzugsweise anpasst („brav ist“) und Widerstand vermeidet. Nichtsdestotrotz: Der Wunsch, „unartig“ zu sein, in die Opposition zu gehen, ist nicht verschwunden. Er liegt in unserem Schatten verborgen und sorgt dort für seelisches und körperliches Ungleichgewicht – und all das, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

Woher aber wissen wir, was in unserem Schatten ruht und uns damit unbewusst zu schaffen, vielleicht sogar krank macht? Tatsächlich recht einfach und immer wieder verifiziert: Das, was wir an anderen meist emotionsgeladen ablehnen, ist unser eigener Schatten, den wir auf unser Gegenüber projizieren. Da, wo wir mit anderen im Reinen und ihrer Position gegenüber tolerant sind, haben wir aller Wahrscheinlichkeit nach selber nichts im Schattensack liegen. Selbstredend kann eine solche Überprüfung nur funktionieren, wenn wir überhaupt bereit sind, uns in aller Ehrlichkeit anzuschauen und Interesse haben, unseren Schatten zu unserem eigenen Wohlsein zu heben. „Was sieht du den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst den Balken in deinem eigenen nicht wahr“ (Mt 7,3), erinnert uns Jesus völlig zu Recht an unseren Schatten.

Genau in diesem Sinn ist das von mir oft erwähnte Enneagramm ein ausgezeichnetes Tool zur Identifikation des eigenen Schattens und geht damit über die gängigen Modelle der Persönlichkeitsbeschreibung weit hinaus.

Gerne stelle ich euch auch in meinem nächsten Blog „The Work“ von Byron Katie vor. The Work dient der Auflösung aller Projektionen durch ihre Rückbezüglichkeit. Wir entdecken über den Spiegel der Menschen unserer Umgebung, was uns über uns selbst bisher verborgen geblieben ist.


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