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#OutInChurch (1)

Sonntag, 11. Februar 2024


Wenn enges dogma­tisches kirch­liches Denken das Entwick­lungs­poten­zial von Menschen verhin­dert, ihnen also nicht zum ganz­heit­lichen Mensch­sein ver­hilft, ver­wun­dert es nicht, dass erwach­sene, mün­dige Menschen aus ihr aus­brechen, um ihrem Her­zen zu folgen. So ist es nicht nur mir ergan­gen, sondern zahl­reichen anderen in ähn­lichen Kon­texten auch.

Heute spreche ich mit Jens Ehebrecht-Zumsande, einem der Haupt­initia­toren von #OutInChurch:

Susanne: Vor zwei Jahren habe ich die ARD-Doku #OutInChurch gesehen. Jens, was ver­birgt sich hinter #OutInChurch?

Jens: #OutInChurch ist ein Zusam­men­schluss von queeren Men­schen, die in der katho­lischen Kirche haupt­beruf­lich oder ehren­amt­lich tätig sind. 125 von ihnen haben sich im Rahmen einer Coming-Out-Kam­pagne getraut, sich selbst als queer zu outen und die Queer­feind­lich­keit sowie die ver­quere Sexual­moral der katho­lischen Kirche öffent­lich zu thema­ti­sie­ren; die ARD-Doku war ein Teil davon. Wir haben damals ein Manifest mit sieben Forde­rungen zur Weiter­ent­wick­lung der Sexual­moral und zur Ände­rung des Arbeits­rechts geschrie­ben. Letz­teres wurde dann tat­sächlich 2022 geän­dert und Anfang letz­ten Jahres umge­setzt: Die persön­liche Lebens­füh­rung jeder einzel­nen Person (dazu gehört z.B. auch die Gruppe der wieder­ver­hei­ra­te­ten Geschie­denen) hatte fortan keine Rele­vanz mehr bei der Anstellung; Abwei­chungen von der Linie durf­ten nicht mehr wie zuvor durch Kün­di­gung sank­tio­niert werden. Durch unsere Kam­pagne haben wir ein ganzes kol­lek­tives Sys­tem von Verdrän­gung, Vertu­schung, Denun­zia­tion und Erpres­sung durch­kreuzt – und dem Ein­zelnen zu mehr Frei­heit und Empower­ment ver­hol­fen. Aller­dings finden sich mitten in diesem Prozess viele Ungleich­zei­tig­keiten: Auf der einen Seite die Queer­feind­lich­keit, die trotz des geän­der­ten Arbeits­rechts alles andere als ver­schwunden ist, und auf der anderen zahl­reiche Unter­stützer/-innen, die – obwohl selbst nicht betrof­fen – sich nicht länger als Teil einer Kirche sehen wollen, die so mit Men­schen umgeht.

Susanne: Obwohl ich nicht im Thema von #OutInChurch behei­matet bin, weiß ich sehr wohl, was die katho­lische Sexual­lehre mit Men­schen macht – bis hin zu mangeln­der Selbst­akzep­tanz und Selbst­liebe.
Kann das vor Weih­nachten heraus­gebrachte Segens­papier von Papst Fran­ziskus einen Bewusst­seins­wandel ein­läuten?

Jens (schüttelt den Kopf): Wir sind einge­bunden in das große welt­kirch­liche System. Die insge­samt doch recht posi­tive Ent­wick­lung in Deutsch­land – immer­hin wurde beim Syno­dalen Weg die not­wendige Zwei­drittel­mehr­heit für einen Beschluss­text, der eine Ände­rung der kirch­lichen Sexual­moral zum Inhalt hat, nur knapp ver­fehlt – lässt sich nicht auf die Welt­kirche über­tragen, im Ge­gen­teil: Die Reak­tionen auf das Segens­papier des Paps­tes machen Queer­feind­lich­keit und Homo­phobie erst offen­sicht­lich, sie setzen sich fort. In einigen afrika­nischen Län­dern z.B., in denen die staat­liche Gesetz­gebung Homo­sexua­li­tät krimi­nali­siert bis hin zur Todes­strafe und gerade die Bischöfe eine unrühm­liche Rolle dabei spielen, wird der­zeit eine ent­sprechende Stel­lung­nahme vorbe­rei­tet. Hier wird der Papst schon deut­lich, dass die Men­schen­rechte queerer Men­schen zu schüt­zen sind. Das täuscht aber nicht darüber hin­weg, dass das Segens­papier bei genauem Lesen eine Kata­strophe ist. Die bis­he­rige Lehre, die Lebens­form homo­sexuel­ler Men­schen sei schwere Sünde, eine irregu­läre Lebens­form (was schon in sich dis­krimi­nie­rende Sprache ist) und nicht dem Schöpfungs­plan Gottes ent­spre­chend, wird keinen Milli­meter in Frage gestellt. Der Segen hat rein gar nichts mit dem zu tun, was wir in Deutsch­land gefor­dert haben. Er darf nur zehn Sekun­den dauern und von keiner­lei Feier­lich­keiten beglei­tet werden. Das ist abso­lut absurd und hat nichts mit Wert­schät­zung homo­sexuel­ler Men­schen zu tun, sondern ist weiter­hin eine Abwer­tung dessen, was nicht dem katho­lischen Ideal­bild einer Verbin­dung von Mann und Frau ent­spricht. Nein, dieses Modell des One-size-fits-all passt in einer sich im 21. Jahr­hun­dert aus­dif­fe­ren­zie­ren­den Gesell­schaft nicht mehr. Und viel­leicht muss katho­lische Kirche in Europa anders aus­sehen als in Afrika oder Asien.

Susanne: Mit Blick auf die unter­schied­lichen Bewusst­seins­stufen im Glauben einer Gesamt­kirche findet man allein in Deutsch­land Ver­tre­ter/-innen der unter­schied­lichsten Stufen. Da sind z.B. die­jenigen, die die Bibel wort­wört­lich nehmen und damit keiner­lei Deu­tung erlau­ben, während es für andere längst eine Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Eine Dis­kus­sion ist halt immer dann schwie­rig, wenn Men­schen keinen Bedarf für Entwick­lung sehen und diese aus den ver­schie­dens­ten Gründen boy­kot­tieren.

Jens: Ich kann dem ganz viel zustim­men. Ich nehme die Bibel gerne in Schutz. Nicht die Bibel ist das Pro­blem, sondern der Um­gang mit ihr. Wenn man solch antike Text eins zu eins liest, sollten einem schon die kog­ni­tiven Dis­sonan­zen auf­fallen. Wenn man sich von wort­wört­licher Inter­preta­tion löst, kann man die bib­lischen Texte mit einem ent­wickel­ten Bewusst­sein als wunder­bare Inspi­rations­quelle wahr­nehmen. So wie auch heute die Texte der mittel­alter­lichen Mysti­ker gelesen und geschätzt werden; sie sind einst – wenn auch unter anderen Vor­zeichen – ebenso mit dem Kirchen­system in Kon­flikt geraten. So können wir mensch­heits­ge­schicht­lich Sprünge beobach­ten, wie eine Schlange, die sich häutet, wenn das Kor­sett zu eng wird. Dann steht die nächste Wachs­tums­stufe an. Ja, es ist unbe­strit­ten, dass diese Gestalt von Kirche gerade stirbt. Und mittler­weile denke ich, es ist gut so, denn das System trägt nicht zu einer befreien­den Ent­wick­lung des Men­schen bei, im Ge­gen­teil. Gerne lese ich auch die Ver­trei­bung aus dem Para­dies in diesem emanzi­pa­to­rischen Sinne: Adam und Eva ver­lieren ihren Schutz­raum und sind nun in einem größe­ren Rahmen auf sich selbst gestellt. Wenn sie nicht ein­fach nur unmün­dige Kinder bleiben wollen, müssen sie die Ver­ant­wor­tung für ihr eigenes spiri­tuel­les Wachs­tum über­nehmen. Das kann man gut auf „Mutter Kirche“ und ihre eman­zi­pier­ten Kinder über­tragen.

Susanne: Exakt. Ist Kirche überhaupt an der spiri­tuellen Ent­wick­lung von Menschen inte­res­siert? Sind es denn die Men­schen selbst? Mir kommt es oft so vor, dass mit dem Kirchen­aus­tritt die Spiri­tuali­tät auf Eis gelegt wird. Hier könnte #OutInChurch Men­schen auf ihrem Weg in die spiri­tuelle Mündig­keit ermu­tigen. Ich selbst bin noch in der Kirche, bin aber unsicher, ob das der richtige Weg ist. Sind Men­schen schon so weit, dass sie auf Kon­fes­sionen oder gar Reli­gionen ver­zichten kön­nen? Bricht da nicht zu viel weg? Ich denke, es ist eher schwie­rig. Das wird noch dauern.

Jens: Konfessionen spielen nur noch für Kirchen­leute eine Rolle, sonst eher nicht. Bei uns hier in Hamburg, einer Groß­stadt also, rückt eher die Inter­reli­gio­sität in den Fokus, da sie die Gesell­schaft prägt. Reli­gion ist nicht aus der Gesell­schaft ver­schwun­den. Eher im Gegen­teil wird sie über Reli­gions­kriege und Kon­flikte für bestimmte Inte­ressen genutzt. Reli­gions­sozio­logen weisen darauf hin, dass sich, wenn sich Men­schen aus einer Kirche verab­schie­den, spätes­tens in der nächs­ten Gene­ra­tion der Tradi­tions­abbruch mes­sen lässt. Das hat Vor- und Nach­teile. Man schützt einer­seits die nächste Gene­ra­tion vor bestimm­ten Vergif­tungen, aber ande­rer­seits geht ein großes Stück Kul­tur und mit ihr Tradi­tion, Struk­turen und Werte ver­loren. Gleich­zei­tig sind die Men­schen auf der Sinn­suche, machen Anlei­hen bei den öst­lichen Reli­gionen, suchen Ersatz in Reisen und Kon­sum, betä­tigen sich künstle­risch. Sie spüren, dass es mehr als essen, schla­fen und arbei­ten geben muss. Die Kir­chen haben das sinn­stif­tende Mono­pol ver­loren, das, was die west­liche Welt seit Jahr­hun­der­ten geprägt hat. Wir leben der­zeit nur noch von den Rest­be­ständen.

Susanne: Tradition ist aus eben diesen Gründen wichtig. Am Beispiel der Ent­frem­dung des Men­schen von der Natur kön­nen wir erken­nen, was fehlt. Der Mensch ver­liert sich im Außen, in der Hek­tik des All­tags, ver­liert den Zugang zu sich selbst und damit seine Ver­anke­rung. So positiv auch plu­rale Anleihen z.B. bei den öst­lichen Reli­gionen oder spiri­tuellen Anbie­tern sind, ist die Belie­big­keit, die daraus erwächst, nicht in jedem Falle förder­lich.

Jens: Ich erinnere mich noch gut an den Corona-Lock­down. Die Men­schen waren mehr oder weniger abge­schnitten von der Außen­welt, zurück­gewor­fen auf sich selbst. Wäh­rend die einen eine große Leere emp­funden haben und mit der Situa­tion über­haupt nicht klar­kamen, stell­ten andere fest, wie gut ihnen gerade dieses Zurück­geworfen­sein auf sich selbst tat. Umso erstaun­licher, dass trotz dieser kollek­tiven Erfah­rung die meisten wieder im Hamster­rad ange­kom­men sind und unbe­irrt fort­fahren. Hoch­spiri­tuel­les Leben und Bewusst­seins­er­weite­rung ist auch nicht für jeder­mann geeig­net;-) So gut die indi­vi­duelle Mündig­keit des Ein­zel­nen auch ist: Kirche hat massiv zur Gemein­schafts­bil­dung von Men­schen beige­tragen. Wenn sich ein ganzes Dorf sonn­tags um 10 Uhr zum Gottes­dienst trifft, so ist das eine kul­turelle Errun­gen­schaft. Es gibt etwas Ver­bin­den­des, auch wenn nicht jeder jeden leiden kann. Die mangelnde Fähig­keit sich einzu­fügen, Wider­sprüche auszu­halten, sich zu arran­gieren und gleich­zeitig bei sich selbst zu blei­ben, sehen wir heute ganz deut­lich in Poli­tik und Gesell­schaft.

Susanne: Genau das fehlt mir – weswegen ich gezielt Gemeinschaft suche... Zurück zu #OutInChurch. Wie siehst du die spiri­tuelle Dimen­sion eures Netz­werks?

Jens: Ein Coming-Out ist nicht nur ein poli­tischer Pro­zess, sondern ebenso ein spiri­tueller: Wer bin ich? Bin ich richtig so, wie ich bin? Queere Men­schen emp­finden das häufig nicht so, da sie einer gesetz­ten Norm nicht ent­sprechen. Als Opfer von Mob­bing und offener Ableh­nung ist die Selbst­mord­rate unter ihnen deut­lich höher als im Durch­schnitt. Coming out ist also ein Trans­forma­tions­prozess von Scham zum Stolz, zur Selbst­akzep­tanz und zur Selbst­liebe. Obwohl die Bibel und die christ­liche Spiri­tua­lität viele Poten­ziale dafür bereit­halten, spielt die Kirche hier eine eher tra­gische Rolle und will nicht aner­kennen, dass wir als Men­schen in unse­rer Indi­vi­duali­tät genau SO gewollt sind. Der gött­liche Funke in einem jeden von uns ist da und will frei­ge­legt werden. Das ist unsere Bega­bung. Und so ist auch Queer-Sein unsere Bega­bung, unsere Beru­fung, die uns in Folge in eine tiefe Akzep­tanz aller Men­schen in ihrer Indi­vi­dua­li­tät führt. Bezogen auf die alt­testa­ment­liche Exodus-Erzäh­lung des Volkes Israel: Her­aus aus der Ver­skla­vung durch die Wüste hinein in die Frei­heit! So kann man ein Coming-Out als symbo­lischen Exo­dus ver­stehen, als eine Empower­ment-Geschichte wie die klas­sischen Helden­er­zäh­lungen.

Susanne: Was meinst du, würden deine queeren Mit­strei­ter/-innen in Kirche blei­ben, wenn sie nicht in ihr beschäf­tigt wären?

Jens: Das ist nicht leicht zu sagen. Gehen oder blei­ben? Für beides gibt es gute Argu­mente. Wenn ich mich nur noch abar­beite und es nicht schaffe, in die Frei­heit zu kommen, dann eher gehen. Aber es macht auch Sinn, den eige­nen Gestal­tungs­raum, die eigene Wirk­sam­keit anzu­schauen. Wenn da viel mög­lich ist, macht es Sinn zu bleiben – auch wenn wir damit indi­rekt das kranke System unter­stützen. Wenn ich aber im System bleibe, kann ICH persön­lich das nur noch tun, wenn ich das System kriti­siere. Ich nenne das: Stören aus Ver­ant­wor­tung, unbe­quem sein. Dis­krimi­nierung findet auch an ande­ren Orten und ande­ren gegen­über statt. Wenn die Betrof­fenen immer gehen, ändert sich nichts. Heute weiß ich: Ich bin richtig, wäh­rend die Sexual­moral der Kirche aus meiner Sicht falsch ist!

Susanne: Ich habe mich über Jahr­zehnte mit Kirche iden­tifi­ziert, konnte mich nicht abgren­zen, habe des­halb gelit­ten. Heute beobachte ich Kirche aus einer gewis­sen Distanz, die Liebe zu ihr ist mir tat­säch­lich abhan­den­gekommen. Das sichert mir meinen Seelen­frieden, geht aber auch mit einem Wärme­verlust ein­her. Ich bin immer mit Leib und Seele Reli­gions­lehrerin gewesen, habe Gemein­schaft in Kirche gelebt und geschätzt.

Jens: Ich schließe mich dem voll an. Das Para­dies war eben tat­säch­lich kein Para­dies. Die Har­monie war vorge­täuscht, vieles wurde ein­fach ausge­blendet durch „Die Kirche hat immer recht“. Jetzt ist es genau umge­kehrt und wir müssen den Preis für unsere Eman­zi­pation, aus der kind­lichen Vor­stel­lung von In-Kirche-Sein heraus­gefal­len zu sein, zahlen. Das geht mit Wärme­ver­lust und Ent­frem­dung einher. Aber wenn ich mich frage, was genau mir fehlt, zeigen sich mir auch neue Mög­lich­kei­ten von Gemein­schaft. Viele machen sich heute frei, denk nur mal an Maria 2.0. Frauen organi­sieren eigen­ständig Andach­ten, gehen ihre eige­nen Wege.

Susanne: Jens, mit Blick auf euer Netz­werk: Wie können euch Men­schen unter­stützen?

Jens: Wir sind jetzt ein einge­tra­gener Verein und freuen uns auch über finan­zielle Unter­stüt­zung, evtl. aus einer umge­wid­meten Kirchen­steuer. Aber das ist nur ein Aspekt. Wir sind vor allem gerne vor Ort und sprechen von uns und unse­rer Arbeit; wir unter­stützen Gemein­den in einer Will­kommens­kultur für queere Gläubige. Leicht ist das nicht, denn nach wie vor fehlt die flächen­deckende Akzep­tanz. Wir planen auch Work­shops, zu denen auch Außen­stehende dazu­stoßen können. Hier könn­test du dich anschlie­ßen.

Susanne: Ja, das mache ich sehr gerne. Für mich ist unser ganzes Gespräch so rich­tig herz­erwär­mend. Auch wenn wir aus ganz unter­schied­lichen Kon­tex­ten kommen, verbin­det uns doch so viel. Ich kann euch nur wün­schen, dass ihr dran­bleibt – in der Hoff­nung, dass sich das Bewusst­sein ein bisschen weitet, sowohl in der Gesell­schaft als auch in Kirchen­kreisen. Im Gebet bin ich bei euch.

Jens: Vielen Dank. Es hat mir auch Freude gemacht.


Lies hier den zweiten Teil meines Blogs zu #OutInChurch.


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