Ganz-Sein
Sonntag, 04. Februar 2024
Menschliches Ganz-Werden und Ganz-Sein ist ein spiritueller Prozess und geht weit über unsere in der Gesellschaft übliche Denkweise, wie Leben sich zu entfalten hat, hinaus.
In der Darstellung der beiden Romane „Der Alchimist“ und „Narziß und Goldmund“ wurde deutlich, was geschieht, wenn wir aus Angst unser Ganz-Werden verhindern und unser Potenzial nicht ausleben. Wir verstecken Eigenschaften von uns, wir geben vor, jemand anderes zu sein, wir kontrollieren auf ungesunde Art und Weise, wir sichern uns ab, wir beschäftigen uns übertrieben mit der Zukunft, wir kompensieren, was das Zeug hält, letztendlich verlieren wir unsere Lebendigkeit, das, was uns ausmacht – und unsere in den Schatten verdrängten Anteile wachsen stetig. Genau diese sind die Anteile, die uns zum Ganz-Sein fehlen, zu einem Leben der Balance und der Ausgeglichenheit.
Wenn Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht die sein dürfen/können, die sie sein wollen, kommen sie ins Ungleichgewicht, werden schließlich sogar krank. Mangelnde Authentizität und fehlender Mut zur Wahrheit schwächt und mindert dauerhaft die Lebensenergie.
Bei den meisten von uns läuft dieser Prozess unbewusst ab – dem Eisbergmodell zufolge beträgt der Anteil des Unbewussten sogar 80-90%. Es gibt aber auch jene unter uns, die bei vollem Bewusstsein Persönlichkeitsanteile zurückhalten, um in der Öffentlichkeit nicht anzuecken, um nicht mit der vermeintlichen Norm in Konflikt zu geraten. Da gibt es den Arbeitslosen, der jeden Morgen aus dem Haus geht, damit keiner seine Arbeitslosigkeit bemerkt. Da ist die Frau und Mutter, die stets ein freundliches Gesicht zur Schau trägt, obwohl zu Hause längst nicht alles dazu Anlass gibt. Da ist der Alkoholkranke, der seine Sucht geheim hält und nicht über seine Sorgen sprechen mag.
Nicht selten sind sogar ganze gesellschaftliche Gruppen betroffen, die auch heute noch in unserer liberalen Demokratie des 21. Jahrhunderts um Akzeptanz und Anerkennung kämpfen. Eine von ihnen ist die LSBTIQ+-Community aus Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Queers. Man muss sich nicht erst in konservative Kirchenkreise begeben, um die offene Ablehnung zu spüren, die ihnen gegenüber immer noch häufig entgegengebracht wird, aber gerade dort, wo man liebevolle Umarmung vermuten dürfte, wird sie in weiten Teilen verwehrt. Vor zwei Jahren sind in der katholischen Kirche 125 in Kirche beschäftigte Menschen öffentlich im Rahmen einer ARD-Doku aufgestanden, um stolz ihr Queer-Sein kundzutun. Wow! Welcher Mut, das schamvolle Sich-Verstecken aufzugeben und zu sich und seiner Persönlichkeit voll zu stehen! Das ist Schattenarbeit vom Feinsten und ein Riesenschritt auf dem Weg zum Ganz-Sein! „Gott bekommt dort Raum im Leben, wo Menschen sich zeigen (können), wie sie sind“, formuliert Bernd Mönkebüscher in „Out in Church. Für eine Kirche ohne Angst“. Wie wahr!
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